Die Niederlande sind ein schönes Land. Grachten, Windmühlen, Coffee-Shops und Käse sind nur einige Stichworte, mit denen das Land in Verbindung gebracht wird. Ein wichtiger Fakt ist jedoch die Tatsache, dass knapp ein Drittel der Landesfläche unter Wasser liegt. Wie geht das Königreich an der Nordsee in Zeiten des Klimawandels und der steigenden Meerespegel mit dem drohenden Untergang um?
Das neue Atlantis?
Niederländische Wasseringenieure leben beruflich gesehen im Paradies. Nirgendwo sonst in der Welt wird ihre Expertise so sehr gebraucht. Die Nation ist sich der Konsequenzen des Klimawandels schon lange bewusst. Die Einwohner haben dem Meer tatsächlich schon Land abgetrotzt, als die globale Erwärmung noch kein Thema war. Schon zwischen 1927 und 1932 wurde mit großem technischem Aufwand und viel Ingenieurs-Sachverstand der mächtige afsluitdijk (dt.: Abschlussdeich) gebaut.
Mit 32 Kilometer Länge schloss der Damm eine Lücke zwischen den Provinzen Friesland und Noord-Holland, um die zuvor weit in die Landmasse hineinreichende Zuiderzee von der Nordsee abzutrennen. Auf diese Weise entstand das Ijsselmeer, an das im Süden das Markermeer angrenzt. In dessen Nachbarschaft befindet sich beispielsweise der Polder Zeevang, mit 6 m unter Normalnull der tiefste Punkt der Provinz Noord-Holland.
Der tiefste Punkt der Niederlande befindet sich übrigens etwas östlich von Den Haag (Zuid-Holland) in Nieuwerkerk aan den IJssel. Die Höhe – oder besser Tiefe – des dortigen Zuiderplaspolders wird mit minus 6,74 m angegeben. Ein weiteres Beispiel für den scheinbar schon ewig währenden Kampf gegen das Meer ist der kleine Ort Callantsoog an der Küste in Noord-Holland. Er blickt auf eine lange Geschichte zurück. Sein Vorgängerort lag etwa 3 km vor der heutigen Küstenlinie und verschwand im Rahmen der sogenannten Allerheiligenflut im Meer. Das war im Jahr 1570. Und im Gegensatz zum sagenumwobenen Atlantis ist dieser Untergang historisch belegt.
Wasserschutz in den Niederlanden
Wer das Meer liebt und in die Niederlande auswandern möchte, wird sich fragen müssen, ob die holländische Küste in diesem Zusammenhang eine nachhaltige Entscheidung sein kann. Ein längerer Probeurlaub in einem Ferienhaus in Holland am Meer wird kurzfristig nicht dazu führen, allzu nasse Füße zu bekommen. Deswegen lohnt die Reise, um selbst in Augenschein zu nehmen, was die Einheimischen alles unternehmen, um ihr Land zu erhalten. Rein technisch gibt es mehrere Optionen, die in den Niederlanden zu diesem Zweck verfolgt werden.
Verstärkung der Deiche
Der schon oben erwähnte Abschlussdeich wird seit einigen Jahren verstärkt und renoviert, weil er nicht mehr den aktuellen Bestimmungen entspricht. Die Deichhöhe wird beispielsweise von bisher zehn Metern um zwei Meter angehoben, so dass die vorgeschriebene Höhe von 11,5 Metern überschritten wird.
Weitere Verstärkungs- und Modernisierungsmaßnahmen sollen dazu führen, dass der Deich bis zum Jahr 2050 gegen ein 10.000-jährliches Hochwasserereignis Schutz bietet. Die aktuellen Annahmen gehen von mindestens 35 cm aus, die der Meeresspiegel bis dahin ansteigen wird. Wenn dann noch ein zünftiger Nordweststurm verbunden mit einer Springflut dazukommt, soll es hinter dem Deich immer noch sicher sein.
Es gibt jedoch auch Stimmen, die von einer schnelleren und komplexeren Dynamik bei der Gletscherschmelze ausgehen. Der Glaziologe Michiel Helsen von der Hochschule Rotterdam weist darauf hin, dass ein Verfehlen der Pariser Klimaschutzziele zu einem deutlich schnelleren Anstieg führen kann. Er hält es für möglich, dass langfristig zumindest einige Teile Westhollands nicht gehalten werden können.
Sand gegen Meer
Statt einer klassischen Deichverstärkung wurde im Fall des „Hondsbossche“, der 2004 als eine Schwachstelle in der niederländischen Deichkette identifiziert wurde, ein anderer Ansatz gewählt. Zwischen 2013 und 2015 wurden 35 Millionen Kubikmeter Sand bewegt, um einen 250 Meter breiten Dünen- und Strandstreifen zu schaffen, der dem alten Damm vorgelagert wurde. Die Wellen werden nun weit vor der Küste gebrochen. Der Sand macht die Wasserbewegung beim Anstieg mit und falls doch etwas verloren geht, kann er nachgetragen werden.
Nebeneffekt war die Schaffung eines neuen Strandes mit einer künstlichen Lagune. Dazu gesellten sich neue Rad- und Wanderwege, Strandabgänge und Aussichtsdünen, die die touristische Attraktivität erhöhten. Die regelmäßige Überwachung der Maßnahmen bezieht die Natur mit ein. So werden Dünenbewegungen genau verfolgt und Pflanzen untersucht, die Flugsand zurückhalten können.
Schwimmende Städte
Nicht nur in den Niederlanden, auch in anderen vom Klimawandel bedrohten Gebieten wie z.B. einigen Pazifikinseln, träumt man von einem ganz neuen Mobilitätskonzept. Es klingt noch ein wenig nach Science-Fiction, aber die Idee der „Schwimmenden Städte“ wird an vielen Orten der Welt ernsthaft untersucht. Die einfache Vorstellung ist dabei, dass mehrstöckige Gebäude auf riesigen Pontons stehen. Diese könnten zu kleinen Städten oder Dörfern zusammengekoppelt werden und theoretisch sogar weit vor der Küste schwimmen.
Wenn so etwas in internationalen Gewässern etabliert wird, gibt es nicht wenig Enthusiasten, die sogar über neue, eigenständige Staatengebilde nachdenken. So schließt sich vielleicht der Kreis zum sagenumwobenen Atlantis. Und das wäre immerhin eine neue Idee, wohin eine neue Auswanderungswelle schwappen könnte.
Noch ist Holland nicht verloren
Es soll an dieser Stelle nicht nur schwarzgemalt werden. Holland ist zwar in Not, aber Holland ist auch vorbereitet. Die Niederländer sind voller Vertrauen in die Schutzmaßnahmen, die an Ihrer Küste verfolgt werden. Die verantwortlichen Stellen haben die Entwicklung im Blick und berücksichtigen den Anstieg der Meerespegel in ihren Zukunftsplanungen. Ob sie dies in ausreichendem Maße tun, darüber gibt es sicherlich unterschiedliche Meinungen, aber Blindheit kann den Behörden nicht vorgeworfen werden.
Mit etwas Galgenhumor darf auch darauf verwiesen werden, dass die Niederländer vielleicht als erstes Volk nasse Füße bekommen, dass sie aber dennoch gelassen warten dürfen, bis ihnen das Wasser „Oberkante Unterlippe“ steht. Denn nicht umsonst handelt es sich bei den Niederländern um das größte Volk der Erde. Niederländische Männer des Geburtsjahres 2000 sind im Median 183,8 cm groß, Frauen bringen es auf 170,4 cm Körperlänge.
Abbildung 1: Pixabay © ValdasMiskinis (CC0 Public Domain)
Abbildung 2: Pixabay © Noverodus (CC0 Public Domain)
Abbildung 3: Pixabay © rottonara (CC0 Public Domain)